Diese Woche habe ich einen Gastbeitrag: Der Komponist Oliver Grühn erzählt uns von seinem Lied „Nächtlicher Regen“, das dem Orchesterliederzyklus „Sommerliebe“ entstammt und auf ein Gedicht von Hermann Hesse verfasst ist. Es wird von Diana Schnürpel und der Norddeutschen Philharmonie Rostock unter der Leitung von Kuan-Ju Lin gespielt.
Der Sommer und der Regen werden in Deutschland anders wahrgenommen als in Katalonien, wo ich lebe. Deshalb bat ich Oliver, während unserer Gespräche zur Vorbereitung dieses Eintrags, darüber zu sprechen. Ich hoffe, dass Sie diesen Artikel genießen, der den Sommer begrüsst, und ich danke Oliver Grühn für sein Nachdenken und die Zeit, die er uns gewidmet hat.
This week we have a guest blog post. The author is the composer Oliver Grühn, who tells us about his Lied Nächtlicher Regen, [Night Rain], with a poem by Hermann Hesse, the sixth of the seven Lieder that form the cycle for soprano and orchestra Sommerliebe [Summer Love]. We will listen to it being performed by Diana Schnürpel and the Norddeutschen Philharmonie Rostock under the direction of Kuan-Ju Lin.
Summer and rain are perceived differently in Germany and Catalonia, particularly by the sea, where Oliver resides. So, in the conversations we had to prepare this post, I asked him to tell me about it. I hope you enjoy this different way of welcoming the summer, and I thank Oliver Grühn very much for his time and thoughts. [To English version]
In meinem Liederzyklus „Sommerliebe“ sind Gedichte vereint, die sich mit dem Sommer beschäftigen, der Liebe zum Sommer und natürlich mit der Liebe selbst. Die Intention dazu hatte ich nach meinem „König ohne Land“ für Bariton und Orchester. Mir schwebte wieder ein Zyklus für Sopran vor, mit ausschließlich freundlichen Gedichten, die Bezug auf den Sommer nehmen. Bis auf ein Gedicht von Ricarda Huch sind alle anderen von Hermann Hesse. Hesses Gedichte sind mir für das Lied ein ständiger Begleiter ich kenne sie seit mehr als 30 Jahren und man findet dort zu vielen Lebenslagen ein sprachliches Bild. Die meisten meiner Lieder habe ich zu seinen Gedichten komponiert.
Der Gedanke des Sommers hat in Deutschland sicher einen anderen Charakter als in Katalanien. Auch sind, von 2018 abgesehen, die regionalen Unterschiede recht deutlich. In Norddeutschland in Küstennähe beginnt das Grünen bisweilen 14 Tage später als im südlichen Teil des Landes; die Normalität in Norddeutschland in Küstennähe ist, dass es im Sommer tagsüber im Durchschnitt kaum mehr als 22 Grad Celsius werden. Ich persönlich liebe es in dieser etwas kühleren Region zu leben und wenn es hier zu warm wird nach Skandinavien zu flüchten. Das Warten auf den Sommer hat auf Grund der allgemein kühleren Temperaturen sicher eine andere Bedeutung als in südlicheren Gefilden. Der Beginn der Vegetationsperiode etwa im April, wenn ein halbes Jahr lang die Bäume kahl waren, die Dunkelheit weicht, die ersten Frühblüher erscheinen und sich das erste Grün zeigt sind die Vorboten der warmen Zeit, die sich in der Regel von Juni bis August erstreckt.
Nichts desto trotz hat hat der Regen auch hier seine Bedeutung. Es gibt ebenso, wie im letzten Jahr sechs Wochen im Frühjahr, Zeiten ohne Regen. Es gibt Sommer, die sind für die Verhältnisse an der Küste so warm, das man über jeden Tropfen Regen froh ist. Und wenn er dann wie bei Hesse des nachts fällt und die ersehnte Abkühlung mit sich bringt, kann ich seine Worte gut nachempfinden: Die Abkühlung der Natur und der Sinne, der sichere Schutz im Haus unter einem Dachfenster, um dem Regen zu lauschen, der Wunsch ein Leid oder Sorgen mit hinwegzuspülen. Das gute Gefühl nach dem Regen wieder ins Freie zu treten und die weiche, gereinigte Luft zu atmen. Der Regen ist unablässig für die Reinigung, die Erneuerung der Natur und bringt neues Leben hervor. Was muss das für ein Rauschen zwischen den Bergen sein, das man hört, wenn man wie Hesse in der Schweiz gelebt hat. Aber für mich reichen die Worte Hesses nicht aus. Ich spüre zwischen seinen Zeilen Emotionen, die nur Musik in der Lage ist auszudrücken. Dieses sanfte Klagen umschreibe ich ohne Worte in einem Zwischenspiel mit der Cello-Melodie, die aus der tiefen Lage, aus dem Innersten, hervorbricht und ihren Lauf nimmt.
„Nächtlicher Regen“ ist eine schöne Kombination von Sprache und Natur. Das Gedicht spannt einen langen sprachlichen Bogen, der sich wunderbar in Musik umsetzen lässt. Vieles aus der Natur findet sich auch in der Musik wieder. Man hört den Regen, das Rauschen des herabfließenden Wasser, aber auch ein klagendes Cello. Mir war der Regen wichtig als befreiendes Element, der nach großer Sommerhitze der Natur Raum bietet sich wieder zu erholen. Das Gedicht zeigt eine Parallele, dass für die Natur der Regen und für den Menschen das Weinen Platz bietet um sich von Dingen zu entledigen, von Lasten zu befreien, Altes wegzuspülen. Das spiegelt dieses Gedicht sehr schön wieder. Es gibt auch ein gleichnamiges Aquarell von Hesse.
Hermann Hesse schrieb dieses Gedicht im Sommer 1933, in einer Zeit, die große Unsicherheit und dunkle Vorahnungen in sich barg, wie auch zwei weitere Gedichte, die in diesem Zyklus vertont sind. Man kann Hesses seismische Vorahnung geradezu spüren. Der arkadische Gedanke, die Hoffnung auf einen Ort und eine Zeit voller innerer Ruhe, Frieden und Schönheit sind ein zentrales Bild gerade der „Schmetterlinge im Spätsommer“ (Nr.4 in diesem Zyklus). 90 Jahre später sind diese Gedanken wieder sehr aktuell.
Mein Ziel war es aus der Emotionalität dieser Gedanken heraus und in Verbindung mit den Sehnsüchten der Zeit, besonders auch der heutigen, eine beseelte Musik zu schreiben.
Genau das ist für mich das verbindende Element mit Richard Strauss, der die Tiefe der Hesse-Gedichte erst an seinem Lebensende endeckte.
Ein Anliegen meiner Lieder ist es diese Gedanken in die heutige Zeit weiterzutragen.
Das Wichtigste am Lied ist für mich, dass es von einer Melodie und einer Stimmung getragen wird, die beim Hörer haften bleibt und man vielleicht das Verlangen hat es wieder zu hören. Singen ist, so glaube ich, dem Menschen ein innewohnendes Bedürfnis und das geht am besten mit einer schönen Melodie.
Über den Autor
Ich bin Oliver Gruhn, geboren 1968 in Berlin, habe dort Notenlesen gelernt, bevor ich Lesen und Schreiben konnte. An der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ habe ich Posaune und Komposition studiert. Seit 36 Jahren spiele ich in der Norddeutschen Philharmonie Rostock, mehr als 15 Jahre war ich dort Solo-Posaunist. Ich habe Musik durch alle Genre geschrieben, ein Solo-Konzert, Kammermusik, Filmmusik, Oper und vor allem Orchesterlied, bisher 5 Zyklen mit insgesamt mehr als 40 Liedern. „4 Lieder für Sopran und Orchester“, „Der König ohne Land“, „Sommerliebe“, „Das Buch der rauschenden Lieder“ und „Brennendes Herz“. Das Orchesterlied ist für mich ein sehr faszinierendes Genre, mit dem großen Orchesterapparat ist es möglich ein bei weitem farbigeres Bild zu zeichnen als es beim Klavierlied möglich ist. Trotzdem ist es ebenso möglich ein hohes Maß an Intimität zu bewahren und das mit einer breiten Klangpalette.
Bis in den Schlaf vernahm ich ihn
Und bin daran erwacht,
Nun hör ich ihn und fühle ihn,
Sein Rauschen füllt die Nacht
Mit tausend Stimmen feucht und kühl,
Geflüster, Lachen, Stöhnen,
Bezaubert lausch ich dem Gewühl
Von fließend weichen Tönen.
Nach all dem harten dürren Klang
Der strengen Sonnentage,
Wie innig ruft, wie selig-bang
Des Regens sanfte Klage!
So bricht aus einer stolzen Brust,
Wie spröde sie sich stelle,
Einmal des Schluchzens kindliche Lust,
Der Tränen liebe Quelle,
Und strömt und klagt und löst den Bann,
Daß das Verstummte reden kann,
Und öffnet neuem Glück und Leid
Den Weg und macht die Seele weit.
Until I dropped asleep I perceived
And I awoke because of it,
Now I hear it and I feel it,
Its rushing sound fills the night
With a thousand voices moist and cool,
Whisperings, laughter, moanings;
Enchanted, I listened to the tumult
Of flowing, soft sounds.
After all the hard arid sounds
Of the stern days of sun,
How intimately, how blissfully anxious
Calls the soft lamenting of the rain!
Thus breaks forth from a proud breast,
However capricious it acts,
One day the sobbing of child-like bliss,
The dear well-spring of tears,
And streams and laments and dissolves the enchantment,
So that what had become mute may speak,
And opens the way for new joys and sorrows
And makes the soul open wide.
(translation by Sharon Krebs)
My song cycle “Sommerliebe” brings together poems that deal with summer, the love of summer and of course with love itself. I planned to do this after my cycle "König ohne Land" for baritone and orchestra. I had another cycle in mind for the soprano, with only friendly poems that reference summer. Except for one poem by Ricarda Huch, all of the other poems are by Hermann Hesse. Hesse’s poems are always with m:. I have known them for more than 30 years, and you can find a linguistic image in them for many situations in life. I composed most of my songs upon his poems.
The idea of summer in Germany is certainly different from that in Catalonia. Moreover, apart from 2018, the regional differences are evident. In northern Germany near the coast, the green starts 14 days later than in southern Germany. In northern Germany near the coast, the average daytime temperature in summer is barely more than 22 degrees Celsius. Personally, I love living in this somewhat cooler region and retreating to Scandinavia when it gets too warm here. Waiting for summer certainly has a different meaning than in more southerly regions due to the generally cooler temperatures. The start of the growing season in April, for example, when the trees have been bare for half a year, the darkness gives way, the first early bloomers appear and the first green appears are the harbingers of the warm period, which usually lasts from June to August.
Rain has its significance here as well. There are times without rain, like last year when it didn't rain for six weeks in spring. There are summers that are so warm for coastal conditions that you enjoy every drop of rain. And when it rains at night, as in Hesse's poem, and brings with it the longed-for cooling, I can really identify with his words: the cooling of nature and the senses, the safe shelter in the house under a skylight to listen to the rain, the desire to wash away any suffering or concerns. The pleasant sensation of stepping outside once more after the rain and inhaling the soft, purified air. Rain is an incessant source of purification, renewal, and new life. It must be a sensation hearing the rain at mountains, like Hesse, who lived in Switzerland. However, for me, Hesses words are not enough. I feel emotions between his verses that only music can express. I describe this gentle lament without words in an interlude with a cello melody that breaks out of the deep register, from the innermost part, and takes its course.
"Night-time Rain" is a beautiful blend of language and nature. The poem spans a long linguistic arc which can be wonderfully translated into music. Many elements of nature can also be found in the music. You can hear the rain and the rushing of the water flowing down, as well as a plaintive cello. The rain was important to me as a liberating element that gives nature space to recover after the great summer heat. The poem shows a parallel: rain provides space for nature and crying for people to get rid of things, to free themselves of burdens, and to wash away old things. This poem expresses this charmingly. There is also a watercolour painting of the same name by Hesse.
Hermann Hesse composed this poem during the summer of 1933, during a period marked by significant uncertainty and gloomy omens, along with two other poems that are accompanied by music in this cycle. Hesses seismic premonition can be almost felt. The Arcadian idea, the hope for a place and a time full of inner calm, peace, and beauty are a central image of “Butterflies in Late Summer” (No. 4 in this cycle). 90 years later, these thoughts are still relevant today.
I aimed to write soulful music based on the emotionality of these thoughts and in connection with the longings of the time, particularly today.
For me, that is precisely what connects me to Richard Strauss, who only discovered the depth of Hesse's poems at the end of his life.
One of the objectives of my songs is to carry these thoughts forward into the present day.
For me, the most important thing about a song is that it has a melody and mood that sticks with the listener and perhaps makes you want to hear it again. I believe that singing is an inherent human need and works best with a beautiful melody.
About the author
My name is Oliver Gruhn. I was born in Berlin in 1968. I learned how to read music there before I could read or write. I pursued trombone and composition studies at the Hochschule für Musik „Hanns Eisler“. I've been a member of the Norddeutsche Philharmonie Rostock for 36 years, and I've been the solo trombone player for the past 15 years. I have written music in all genres, a solo concert, chamber music, film music, opera and above all orchestral songs. So far, I have written 5 cycles with a total of more than 40 songs. “4 Lieder für Sopran und Orchester“, “Der König ohne Land“, “Sommerliebe“, “Das Buch der rauschenden Lieder“ und “Brennendes Herz“. For me, orchestral songs are an extremely fascinating genre. With the large orchestra, it is possible to paint a far more colourful picture than is possible with a piano song. Nevertheless, it is also possible to maintain a high degree of intimacy and to do so with a wide range of sounds.
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